Ich persönlich habe ja kein besonders inniges Verhältnis zu meinem Bahnhof. Ich fahre hin, kaufe eine Fahrkarte und steige in den Zug. Ab und zu ärgere ich mich auch noch über eine Verspätung, aber das war es dann auch schon in Sachen Bahnhof. Woran ich beim Bahnhof nicht denke, ist das Thema Einkaufen.
Genau das möchte die Bahn gerne ändern: „Dein Bahnhof – Das Magazin der Berliner Bahnhöfe“ heißt ein kostenloses Kundenheft. Vom Cover haucht einen eine junge Frau verheißungsvoll an (Ein Hinweis auf die Temperaturen in den meisten Bahnhöfen?) und im Editorial heißt es: „Die Berliner Einkaufsbahnhöfe stellen hier einmal im Quartal die vielfältigen Angebote in und um den Bahnhof vor – wie z.B. spannende Veranstaltungen oder die attraktiven Angebote aus den Bereichen Gastronomie und Einzelhandel in den Bahnhöfen.“
Es geht also um‘s Verkaufen, die Fahrgäste sollen Geld ausgeben beim Warten auf den Zug. Und die Bahn hat sich einiges einfallen lassen, um ihre Berliner Bahnhöfe in der Vorweihnachtszeit zu wahren Shopping-Magneten zu machen. O-Ton Editorial: „In Ihren Berliner Einkaufsbahnhöfen ist auch im Winter eine Menge los: Dazu zählen Pianoklänge im Bahnhof Zoo und ein Weihnachtsbaum der ganz besonderen Art im Berliner Hauptbahnhof.“
Ist ja der Wahnsinn: Im Bahnhof Zoo tanzen Penner zu Klaviergeklimper vom Band im Takt und im Hauptbahnhof steht ein kitschig glitzernder Tannenbaum. Da ist schon wirklich eine Menge los. Muss ich mir glatt überlegen, ob ich so viel Erlebnis an einem Tag überhaupt verkraften kann.
Aber „Dein Bahnhof“ hat noch mehr Themen: So werden etwa verschiedene Bahnhofsbäcker vorgestellt. Die „verwöhnen“ ihre Kunden zurzeit mit „Baumkuchen oder Weihnachtsstollen“. Wobei es mit dem Verwöhnen nicht weit her ist, denn es handelt sich um die üblichen Aufbackstuben, die sich mittlerweile an jeder größeren Straßenkreuzung breit gemacht haben. Auf dem einen Foto sieht man sogar den Elektroofen im Hintergrund, mit dem die vorgeformten Teigrohlinge in Brötchen und Brot verwandelt werden.
Dennoch wird das Magazin nicht müde, auch hier die Vorzüge zu betonen: „BackWerk im Bahnhof Zoo bietet dem eiligen Kunden einen besonderen Service. Dort dürfen sich alle, ob Naschkatzen mit einem Faible für Süßes oder Freunde deftiger Backkunst, im Backshop selber bedienen.“ Was für ein Service: Statt Bedienung an der Theke muss ich mir die zuckrigen Mohnschnecken selbst auf’s Tablett legen und an die Kasse bringen.
Weiter geht es mit Berichten über die Bahnhofsapotheken („Bei Apotheker Michael Marquardt reicht der Service sogar bis zur Kosmetik-Beratung“), über Änderungsschneidereien und Uhrenläden („Dienstbare Geister“) und wertvollen Tipps für weihnachtliche Getränke („Ein guter Glühwein […] wird heiß getrunken“).
Auf Seite 22 erzählt die Rubrik „Flüchtige Begegnungen“ kuriose und witzige Geschichten aus den Berliner Bahnhöfen. Die Leser sind aufgefordert eigene Erlebnisse einzusenden. Und die verraten mehr über die Servicekultur bei der Deutschen Bahn, als dem Unternehmen eigentlich lieb sein kann.
So schreibt etwa Herr Hinze aus Berlin-Mitte: „Ich fuhr mit dem Nachtzug nach Freiburg. Leider alleine, da ein Freund kurzfristig abgesagt hatte. So hatte ich zwei Fahrkarten. Als der Schaffner kontrollierte, hatte eine junge Koreanerin Probleme. Sie hatte zwar ihre Tickets dabei, nicht aber die dazugehörige Visa-Card zur Bestätigung. Ich hörte dies, ging hin und fragte, ob es auch in Ordnung sei, wenn sie meine freie Karte in Anspruch nähme. Es war möglich. Die Mitfahrer bedankten sich und sagten: ‚Wir dachten, Hilfsbereitschaft gebe es nicht mehr.’“
Was lese ich als Kunde da raus: Die Bahn beharrt auf ihren engstirnigen Bestimmungen. Von Kulanz beim Zugbegleiter keine Spur. Die Situation löst sich nur dadurch auf, dass ein fremder Fahrgast doppelt bezahlt. Ungünstiger kann Eigen-PR nicht aussehen.
„Dein Bahnhof“ ist mutig, dass es solche Geschichten aus der Servicewüste frei heraus erzählt. Vielleicht liest bei der Bahn aber auch einfach niemand besonders aufmerksam das extern bei Axel Springer produzierte Magazin. Das wäre jetzt kein schönes Fazit, deshalb schreibe ich lieber noch eines.
Fazit: Dein Bahnhof versucht uns weihnachtliche Musik und einen Tannenbaum als großes Eventprogramm zu verkaufen, lobt die 08/15-Bahnhofsbäcker in den Service-Himmel und gibt uns Glühweintipps, die gar keine sind. Kurz, es macht das, was unzählige andere PR-Magazine auch machen. Eine willkommene Abwechslung ist da die Seite mit den Kundenberichten: Wirklich sympathisch werden uns Bahn und Bahnhöfe dadurch zwar nicht, aber immerhin hatten wir was zu lachen.
Dein Bahnhof – Magazin der Berliner Bahnhöfe hat 36 Seiten und liegt in den „Einkaufsbahnhöfen“ der Deutschen Bahn aus. Im November ist die dritte Ausgabe erschienen. Auf der Onlineseite gibt es auch ein Gästebuch (mit aktuell 11 Einträgen).