Jeder Mensch hat vermutlich Dinge, die er schon immer einmal tun wollte. Der Eine träumt von einer Weltreise, der Nächste will ein Haus bauen und der Dritte ganz einfach der hübschen Blondine von gegenüber seine Briefmarkensammlung zeigen. Manche tragen diese Dinge in einer fein säuberlich geführten Liste im Notizbuch spazieren, andere bewahren sie von fremden Einblicken gänzlich abgeschirmt in ihrem Kopf auf. Ich selbst habe keine solche Liste. Und doch ist gestern etwas in Erfüllung gegangen, was ich mir schon seit längerem vorgenommen hatte: Ich habe an einem Blogslam teilgenommen und einen Text von mir vorgelesen.
Und das kam so (ich nenne nur die wichtigsten Stationen): Einladungs-E-Mail bekommen. Gelesen. Wohlwollend. Trotzdem nicht reagiert. Zweite E-Mail bekommen. Muss doch was tun. Überlegen. Mail beantwortet. Jetzt hänge ich drin. Überlegen welcher Text vorlesetauglich ist. Festgestellt, dass Texte aus dem Bereich „Haushalt“ klanglich suboptimal sind. Erinnerungsmail bekommen. Es wird ernst. Früher Feierabend. Drei Texte ausdrucken. Nur gelbes Papier im Drucker. U8 zum Alexanderplatz. Letzte Zweifel beiseite gewischt. M2 zur Knaackstraße. Textfrage offen. Begrüßung. Charmant. Darmstädter Bier in Hand. Bin jetzt sicher. TKKG-Text wirds. Los gehts.
Wie man sieht hängt die Teilnahme an einem waschechten Blogslam an so vielen Faktoren und Unwägbarkeiten, dass es praktisch an ein Wunder grenzt, dass ich gestern im Berliner Kunstbuchladen Vice Versa noch zum Vorlesen meines Blogartikels über die 10 dämlichsten Verbrechen bei TKKG gekommen bin. Mit mir trauten sich fünf weitere tapfere Blogger mit ihren Texten nach vorne, die meisten davon aus dem Bereich Fashion. Eine knallharte Jury aus dem Bereich Fashion bewertete die Beiträge und vergab Punkte in den Bereichen Inhalt, Struktur, Vortragsweise und „Blogability“. Was soll ich sagen: Mein Text kam überraschenderweise sehr gut an, es wurde wirklich viel gelacht. Umso spannender das Warten auf die Entscheidung: Wer macht das Rennen und gewinnt einen stylischen iPod nano?
Dann die Preisvergabe: Mit zitternden Fingern stand ich hinter der Menschentraube als die Plätze zwei und drei vergeben wurden. Ich habe in diesem Moment nicht daran geglaubt, dass ich den Blogslam gewinnen würde. Mein Artikel drehte sich höchstens ganz am Rande um Fashion und obwohl der Text beim Publikum gut angekommen war, lag die Entscheidung am Ende doch bei der Jury. Dass ich den Blogslam gewonnen habe, liegt sicher nicht zuletzt auch an den dämlichen Verbrechen bei TKKG. In diesem Sinne gebührt Dank nicht nur den Veranstaltern des Blogslams, sondern auch Wolf Schneider aka Rolf Kalmuczak, dem Erfinder der Serie.
Veranstaltet wurde der Wettbewerb übrigens von CIRCUS, einem von Darmstädter Studenten frisch gegründeten, monothematischen, gedruckten (!) Blog-Magazin. Wobei Magazin schon fast eine Untertreibung ist, hat die Erstlingsausgabe doch nicht weniger als 354 Seiten. Im Inneren verbirgt sich ein ganzes Kaleidoskop an Artikeln, Ansichten, Fotostrecken, Illustrationen, Collagen und Listen. Alles zum Titelthema: Fashion. Zum Glück sieht CIRCUS nicht nur auf modernen Möbelstücken aller Art sehr gut aus, sondern geht auch inhaltlich in die Tiefe. So handelt der Artikel „Wolllust“ zum Beispiel von einem Woll-Fetischisten, der ganz offen von seiner Neigung erzählt. Für einen anderen Beitrag ist die Redaktion auf die einsame Insel Kihnu in Estland gereist, um eine der letzten traditionellen Weberinnen zu portraitieren. Ein aussichtsreiches Projekt also, welches darüber hinaus von einer sehr sympathischen Crew geleitet wird. Mein erstes Mal Blogslam hat richtig Spaß gemacht – ich werde es auf jeden Fall wieder tun…