Blaues Wunder erlebt – Die Blue Man Group Show in Berlin

Stehen drei Blue Men auf der Bühne und halten eine Packung Cornflakes in der Hand. Sie stopfen sich Flakes in den Mund. Einer so hastig, dass sie ihm wieder aus dem Mund fallen. Das Publikum lacht. Wie, das ist gar nicht lustig? Es geht aber noch weiter: Jetzt kauen die Blaumänner ihre Flakes im Takt. Das Geräusch wird von den Mikros verstärkt. Ein einziges Kauen und Schmatzen. Das findest Du nicht lustig? Dann brauchst Du harte Nerven, denn auf diesem Niveau bewegen sich fast alle Nummern in der Blue Man Group Show in Berlin (für alle, die sich noch nicht sicher sind, hier ein Video).

Seit 2004 gibt es den Ableger der Blue Man Group in Berlin. Außer in der Hauptstadt läuft die Show auch noch in den USA, in Tokyo und auf Kreuzfahrtschiffen. Das Konzept ist immer dasselbe: Drei stumme, blau maskierte Männer treten auf die Bühne und führen eine Mischung aus Trommeln, Clownerie, Performance gepaart mit Zuschaueranimation auf. Das sieht dann zum Beispiel so aus: Ein Blue Man turnt über die Stuhllehnen hinweg durch die Menge. Er drückt einem Zuschauer einen Marshmallow in die Hand und stellt sich drei Meter entfernt auf. Der Zuschauer soll nun den Mund des Blue Man treffen. Beim dritten Versuch klappt es. Das Publikum klatscht. Juhu!

Überhaupt wird das Repertoire der Stadion-Animation auf breiter Front bedient: Am Anfang der Show sollen alle Zuschauer laut schreien, später dirigieren die Blaumänner mit Leuchtstäben die verschiedenen Besucher-Blöcke im Parkett. Erst sollen alle Leute links aufstehen und klatschen, dann die rechts und am Schluss alle in der Mitte. Das funktioniert zwar ebenso zuverlässig wie bei einem Fußballspiel, aber es ist weder originell noch sonderlich niveauvoll.

Ein großes Problem ist: Die Blue Man Group Show hat keinen roten Faden. Nirgends ist auch nur der Hauch einer Handlung oder Reihenfolge zu erkennen, alles wirkt willkürlich aus einem größeren Fundus zusammengewürfelt. So werden zwischendurch etwa Einspieler gezeigt, in denen die Blue Men überhaupt keine Rolle spielen. Diese Filmchen sind zwar nett gemacht, wirken aber vom Rest der Veranstaltung seltsam isoliert. Von einem Gesamtkonzept, wie man es von einer Show dieser Größe erwarten würde, ist wenig zu spüren.

Noch dazu passieren der Blue Man Group peinliche Fehler: Auf einmal laufen die drei Blaumänner von der Bühne. Auf dem Bildschirm wird eine vermeintliche Live-Übertragung gezeigt. Man sieht, wie zwei der Blue Men vor dem Theater in ein Taxi steigen. Im Hintergrund ist deutlich die Mercedes-Benz-Niederlassung gegenüber zu sehen. Schade nur, dass diese dort seit längerem gar nicht mehr existiert. Dort sitzt jetzt nämlich N24. Ein bisschen aktueller würde man sich eine „Live-Schalte“ schon wünschen…als Ortsfremder fällt einem das vielleicht nicht gleich auf – als Berliner merkt man es sofort.

Die Touristendichte ist generell hoch: An einer Stelle soll die Menge spontan Karaoke zu dem Song „Dickes B“ der Berliner Reggae-Combo Seeed singen. Es kennt schlicht niemand den Text. Da hilft es auch nicht, dass dieser in übergroßen Lettern auf einem Bildschirm eingeblendet wird. Dabei ist das Publikum für derartige Späße durchaus zu haben: Als einige Minuten später „beliebte Posen bei Rockkonzerten“ eingefordert werden, heben viele meiner Sitznachbarn die Arme und schwenken sie hin und her.

Das einzig wirklich Sehenswerte an der Blue Man Group Show sind die Trommelnummern. Die Blaumänner spielen im Takt auf Plastikrohren, sie hauen und trommeln, als wenn sie sich den Frust über den vermurksten Rest der Show von der Seele prügeln wollen. Keine Frage, es ist schon beeindruckend, wenn sie bunte Farbe auf ihre Drums gießen und diese dann Sekunden später empor spritzt. Schade nur, dass diese durchaus gelungenen Musikeinlagen in der Gesamtshow fast untergehen.

Ganz am Schluss werden lange Klopapierbahnen durch den Saal gerollt, jeder gibt das aktuelle Stück nach vorne weiter. Mehr und mehr Klopapier kommt von hinten an und wird von allen nach vorne zur Bühne bugsiert. Es ist erstklassiges Papier, ganz weiß und sauber. Da liegt es nun in riesigen Bergen auf der Bühne. Weiter passiert nichts damit. Eine unglaubliche Verschwendung von Ressourcen – die nicht gerade vom ökologischen Weitblick der Blue Man Group zeugt.

Mehr als 80 Euro kostet eine Karte für die Show in der ersten von zwei Kategorien, in der zweiten immerhin noch etwa 70 Euro. Dafür kann man eigentlich eine Menge erwarten. Eigentlich. Denn geboten werden vor allem großformatig aufgezogene Plattheiten, langgezogene Sketche und die schon erwähnte, stellenweise peinliche Publikumsanimation. Wenn man diesem Abend etwas Gutes abgewinnen will, dann vielleicht dieses: Man muss nicht mehr nach Mallorca fliegen, um sich auf dem Niveau einer All-inclusive-Ferienanimation bespaßen zu lassen. Eine Tageskarte zum Potsdamer Platz genügt.

Am Himmel nichts Neues

Ob auf dem Fahrrad, entspannt im Campingstuhl oder stehend: Gespanntes Warten auf das Feuerwerk am Olympiastadion.

Ein jährlich wiederkehrendes Event in Berlin ist die Pyronale. Die Pyronale ist eine Feuerwerksshow, für die man eigentlich Eintritt bezahlt und sich dafür auf eine Tribüne setzen darf. Aber das Praktische an einem Feuerwerk ist ja, dass man es von fast überall gut sehen kann. Der Blick in den Himmel lässt sich schließlich schlecht absperren. Außerhalb des Zauns sieht man die Effekte fast genauso gut wie innerhalb.

Gestern war es mal wieder soweit: Hunderte Berliner drängen sich dann auf dem Vorplatz des Südtors vom Olympiastadion. Weinflaschen kreisen. Es werden schlechte Witze gerissen („Macht mal die Musik lauter, ich hör nichts“, „Ich glaube, die brennen dieses Jahr nur bengalische Hölzer ab“). Kinder sitzen in Decken eingewickelt auf Campingstühlen, bierbäuchige Väter stehen mit Flasche in der Hand daneben.

Dann fängt das Feuerwerk an. Raketen klettern in den Himmel und zerplatzen in faserige Leuchtstrahlen. Rot, grün, blau, weiß. Die Menge tobt. Überall „ahh“ und „ohh“ und „ach wie toll“.

Das Problem dabei: Es sind jedes Jahr die gleichen ahhs und ohhs, die gleichen schlechten Witze  und mehr oder weniger die gleichen Feuerwerkseffekte. Begleitet wie jedes Jahr von der gleichen Musiksoße aus schlecht eingespielter Klassik vom Band. Ich könnte jetzt schreiben, dass mir und anderen das Feuerwerk gestern kleiner vorkam als früher. Weniger himmelfüllende Effekte, dafür mehr Bodenfeuerwerk. Die Pyronale nach der weltweiten Krise. Doch das würde den Kern nicht treffen: Die Pyronale hat sich als Veranstaltung an sich abgenutzt.

Man kann das Ritual auf dem Vorplatz mit den Campingstühlen, den schlechten Witzen und der dick aufgetragenen Begeisterung sicher toll und ganz traditionell finden. Oder es langweilt einen. Seit 2006 hat sich die Pyronale nicht weiterentwickelt. Weder ist die Qualität der Präsentation besser geworden (etwa durch Live-Musik), noch wird heute besser geböllert als vor vier Jahren. Die Pyronale ist festgefahren: Sogar das Veranstaltungsplakat mit dem pixeligen Symbolfoto eines Feuerwerks wird jedes Jahr aufs Neue verwendet.

Mit der Pyronale ist das ein bisschen wie mit den Strandbars, die plötzlich auf jeder innerstädtischen Industriebrache in Spreenähe aus dem Boden schossen. Im ersten Jahr innovativ und spannend, haben sie sich inzwischen ziemlich abgenutzt. Es gibt sie halt. Mit etwas mehr Einsatz könnte man aus dem Event „Feuerwerksshow“ sicher viel mehr herausholen. So bleibt nur das Warten auf Silvester.

Ausgeböllert: Die besten Jahre der Pyronale sind vorbei