Currywurst-Pizza im Test


Zwei beliebte Fast-Foods in einem Produkt: Nicht mehr und nicht weniger verspricht die „Stadion-Pizza Currywurst“ von Lidl. Geht die Kombination gut oder schießt man mit dieser „deutschen“ Variante der Pizza ein Eigentor?

Beim Thema Wurstpizza fällt mir ja sofort dieser eine Campingplatz am Lago Maggiore in Norditalien ein, auf dem ich als Kind einmal war. Zu jedem guten Campingplatz gehört  auch ein meist einfaches Restaurant. Und im Campingplatz-Ristorante am Lago Maggiore gab es, wohl nicht zuletzt aus Anbiederung an die deutschen Gäste, eine „Pizza al Wursti“. Ich erinnere mich noch genau, als ich den flachen Teigfladen mit den Plockwurst-Stückchen auf den Tisch gestellt bekam. Und ich weiß auch noch, dass ich diese Pizza nicht aufgegessen habe, so sonderbar fand ich die Kombination aus Teig und Wurst.

Nun also, mindestens 15 Jahre später, ein neuer Versuch mit einer Wurst-Pizza. Nach dem Auspacken die erste Überraschung: Es scheint sich eher um eine Pizza mit Currywurst, als um eine Currywurst-Pizza zu handeln. Exakt 16 Currywurst-Stücke liegen auf dem Rundling, der uns ansonsten doch ziemlich an eine Pizza Margherita erinnert. Auf dem Foto sieht es zudem so aus, als wäre überall Curry auf der Pizza verteilt. In echt ist von einer dicken Curryschicht nichts zu sehen. Vielleicht ganz gut so…

Wir machen den Ofen auf und schieben die Pizza hinein. Tür zu und warten. Die Stadionpizza geht beim Backen nicht hoch. Um ehrlich zu sein, verändert sie sich beim Backen praktisch überhaupt nicht. Nur der Käse verläuft und die Wurststücke fangen an fettig zu glänzen. Nach einer guten Viertelstunde ist die Pizza fertig. Geruchstechnisch hat sich unsere Küche noch nicht in eine Currywurstbude verwandelt. Na immerhin!

Der Geschmack ist weniger seltsam als befürchtet: Die Currywurst-Stücke haben eine schöne Schärfe und ergänzen sich gut mit den Zwiebeln. Die Tomatensoße könnte allerdings auch noch etwas Curry vertragen. Schwach hingegen der Boden: Trocken und zäh verklebt er uns den Gaumen, wie bei so vielen anderen Tiefkühl-Pizzen leider auch. Insgesamt kann die Currywurst-Pizza geschmacklich nicht ganz überzeugen. Pizza mit Wurst, so wage ich zu behaupten, bleibt auch mit der „Stadion-Pizza“ ein Nischenprodukt.

Die Stadion-Pizza Currywurst kostet 99 Cent und ist aktionsweise bei Lidl erhältlich. Auf der Rückseite befindet sich als nette Zugabe ein Spielplan für die Rückrunde der Fußball-Bundesliga.

Douglas gibt mir die Kugel

„Und noch eine kleine Aufmerksamkeit für Sie. Frohe Weihnachten!“, ruft mir der Verkäufer zu. Und eh ich es mir versehe, halte ich die Papiertüte von Douglas in der Hand. Kauftransaktion abgeschlossen. In der Tüte: Das Weihnachtsgeschenk für meine Mutter und die „kleine Aufmerksamkeit“. Sie besteht aus einem viereckigen Karton mit dem Aufdruck „Collectors Edition 2010“ (die kleine Aufmerksamkeit, nicht meine Mutter). Durch den transparenten Kunststoff sieht man eine silberne Weihnachtskugel schimmern. Auf die Oberfläche der Kugel hat jemand eine Frau gemalt, deren Unterkörper aus Tannenzweigen besteht. Hinter der Waldfrau befinden sich noch ein goldener Stern und ein verwaschenes blaues Etwas, das so aussieht als hätte jemand seinen Pinsel nicht richtig ausgewaschen. Über dieses Meisterwerk moderner Christbaumkugelmalerei hat der Künstler mit krakeliger Schrift seine Signatur gesetzt.

Was soll ich damit machen? Collectors Edition hin oder her, an den Baum hänge ich mir diese Kugel ganz sicher nicht. Erstens ist sie verdammt hässlich. Zweitens, selbst wenn sie nicht hässlich wäre, würden mir noch die anderen Stücke der diesjährigen Kollektion fehlen. Nur eine Kugel von Douglas und zwanzig andere in Rot und Blau, das sieht nun wirklich nicht aus.

Mein erster Gedanke war: Am besten schnell weiterverschenken. Spontan fiel mir niemand ein, der sich über eine einzelne Silberkugel mit liebloser Bemalung freuen würde. Meine Mutter jedenfalls schon mal nicht. Mein Bruder? Der hat nicht mal einen Baum. Der Motzverkäufer in der U-Bahn? Ich bezweifelte, dass er sich über die Douglas-Kugel freuen würde.

Natürlich könnte ich die Kugel einfach zum Verkäufer zurückbringen. Sie auf den Tisch legen und sagen: So nicht. Aber damit habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Einer guten Freundin von mir wollten sie im Penny mal alte Weihnachtsschokolade andrehen. Als sie ablehnte, wurde sie von den Kassiererinnen als dekadent und überheblich beschimpft. Das wollte ich lieber nicht riskieren.

„Stell sie doch auf Ebay rein“, sagte mein Bruder. Auf der Auktionsplattform würde schließlich so ziemlich jeder Mist verkauft. Ich recherchierte. Auch ein anderer Douglas-Kunde war schon auf die Idee mit dem Versteigern gekommen. In gekonntem Marktschreier-Jargon und mit originellen Schreibfehlern hob er die Vorzüge der Kugel hervor:

„Hier biete ich eine unglaubliche Gelegenheit : Die Douglas Collektours 2010 Kugel , ein muß für jeden Sammler geschmackvoller Präziosen und die Möglichkeit Geschmack zu beweisen . Abgesehen vom guten Gefühl ein solch wertigen Gegenstand sein Eigen zu nennen , haben sie die reale Chance einer extremen Wertentwicklung in den nächsten 500 Jahren. Diesen Anforderungen geschuldet werde ich meine ganze Kraft in eine bombensichere Verpackung legen damit die Kugel absolut sicher und unversehrt bei ihnen ankommt.“

Das Startgebot lag bei einem Euro. Obwohl die Auktion schon einige Zeit lief, hatte sich noch niemand gefunden, der das edle Sammlerstück erwerben wollte. Ebay schien nicht der richtige Ort für diese Art von Nippes zu sein.

Natürlich hätte ich die Kugel einfach wegwerfen können. Aber was für eine ungemeine Verschwendung wäre es, wenn geschätzte zwanzig Millionen Kunden von Douglas zur Weihnachtszeit eine solche Kugel geschenkt bekommen und sie dann umgehend entsorgen? Ein Präsent produziert für den Müll. Das klingt nicht nach einem Happy End.

Als ich mir all diese Gedanken gemacht hatte (der Laden hatte inzwischen geschlossen), fiel mein Blick noch einmal auf die Verpackung der Kugel. Ganz unten stand in kleiner goldener Schrift ein Satz auf dem Karton: „Die magische Wunschkugel“

Ich habe mir die Kugel dann schwupp-di-wupp einfach weggewünscht. Es hat funktioniert! Das Ding ist einfach spurlos verschwunden! Kugellos stand ich auf dem Kudamm. An Weihnachten passieren halt manchmal doch noch Wunder.

Verspätete Übergabe aus dem Ausland

Die Deutsche Bahn hat ja bekanntermaßen unzählige Ansagen für Verspätungen auf Lager. Könnte ich einen Tag in der Zugverspätungszentrale der Bahn verbringen, dann würde ich ziemlich sicher die ganzen Knöpfe mit den Ansagen durchprobieren. Und ganz bestimmt auch den mit meiner Lieblingsansage drücken:

„Wegen verspäteter Übergabe aus dem Ausland hat Eurocity 174 eine Verspätung von 90 Minuten.“

Man könnte jetzt einwenden, dass an dieser Ansage nichts besonderes ist. Sie wird tagtäglich dutzende Male abgespielt und lindert doch kaum den Zorn der Reisenden. Aber schauen wir uns die scheinbar schnöde Ansage einmal genauer an.

Kernelement ist zweifelsohne die Übergabe. Trotz Europäischer Union und Schengenraum muss ein Zug an der Grenze ganz offenkundig an die Kollegen vom Nachbarland übergeben werden. Da tippeln also Schaffner bei Eiseskälte am Grenzübergang unruhig von einem Bein aufs andere, ballen ihre Fäuste in den Schaffnermanteltaschen und blicken ungeduldig den Schienenstrang entlang. Kommt er jetzt endlich?

So eine Zugübergabe ist eine gemeinhin unterschätzte und dabei doch hochkomplexe Angelegenheit. Was muss da nicht alles überprüft werden: Fährt der Zug überhaupt auf dem richtigen Gleis (blöd, wenn man es erst hinterher in Buxtehude merkt)? Sind noch alle Waggons da (gerne kommt ja der Speisewagen abhanden, aber das ist eine andere Ansage)? Wie steht es um die Laugenstangenvorräte des mobilen Bretzelverkäufers? Bis alles durchgezählt und penibel im Übergabeprotokoll vermerkt ist, kann schon eine kleine Weile vergehen. Und schon ist sie da: Die Verspätung aufgrund verspäteter Übergabe aus dem Ausland.

Von Dresden Hauptbahnhof bis Berlin-Südkreuz heißt es dann: „Wegen verspäteter Übergabe aus dem Ausland…“

Charmant ist in jedem Fall die Diffusität der Ansage: Sie sagt nichts über den eigentlichen Grund der Verspätung aus. Am Grenzübergang verquatscht? Bei den Laugenstangen dreimal verzählt? Ach iwo, das ist doch kein ansagetauglicher Verspätungsgrund!

Stattdessen wälzt die Bahn die Schuld ganz geschickt auf das nicht näher definierte „Ausland“ ab. Das ist einfach, denn das „Ausland“ gilt gemeinhin als ziemlich unberechenbares Land. Vom Ausland kann man weder präzise Pünktlichkeit noch pünktliche Präzision erwarten.

Ganz bewusst spricht die Bahn nicht von einer „verspäteten Übergabe aus dem Nachbarland“. Das klingt nämlich weder besonders weit weg, noch sonderlich unberechenbar.

Zugleich scheut die Bahn aber auch die direkte Konfrontation. „Der Tscheche ist schuld“, könnte der Schaffner ja auch ansagen. Das ist aber zum einen politisch nicht ganz korrekt und zum anderen weiß jeder Zugführer von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen, dass es die Kollegen im Ausland auch nicht anders machen. Kommt ein deutscher Zug zu spät nach Prag, dann ist auch dort „das Ausland“ schuld.

Was lernen wir daraus? Eine Zugübergabe ist komplexer als wir gedacht haben (aha!) und auf das Ausland ist im Falle einer Verspätung in jedem Fall Verlass (na immerhin!).

Bloß nicht verzetteln!


Wer kennt sie nicht: Witzige oder auch nur witzig gemeinte Aushänge im Treppenhaus, am Laternenmast oder am Schwarzen Brett der Uni. Es wird aufgerufen, appelliert und gedroht, dass es eine wahre Freude ist. Neu ist das nicht. Aber in kaum einer anderen Stadt laufen so viele skurrile Fundstücke auf wie in Berlin.

Und fast scheint es, als würden in diesem Jahr alle Zettelsammler Deutschlands praktisch zeitgleich auf die Idee kommen, ihre Schätze aus den Schubladen zu kramen und ins Internet zu stellen. Glaubt man dem Datum des ersten Artikels, dann hat gezettelt.de angefangen, dicht gefolgt von Notes of Berlin. Und auch tagesspiegel.de ruft nun – wohl inspiriert von der neuen Zettellust der Blogger – seine Leser zum Einsenden von eigenen Fundstücken auf.

Joab Nist, der Blogger hinter Notes of Berlin, sammelt seit rund zwei Jahren die skurrilsten Aushänge, die er auf seinen Streifzügen durch die Hauptstadt entdeckt. Einige nimmt er mit nach Hause, von anderen macht er direkt vor Ort ein Foto. Eine ganz beachtliche Sammlung sei so zusammengekommen, erzählt er. Und die will der gebürtige Münchner jetzt Stück für Stück ins Netz stellen.

Damit der Zettelstrom aber nicht versiegt, braucht er trotzdem immer neue Einsendungen. Deshalb rührte Joab Nist kurz nach Eröffnung seines Blogs Anfang Oktober kräftig die Werbetrommel. Er mailte berlinspezifische Blogs und Online-Magazine an und schrieb den Online-Redaktionen großer Berliner Tageszeitungen. Einige griffen seinen Vorschlag auf und berichteten über Notes of Berlin. Der Tagesspiegel reagierte hingegen nicht.

Umso erstaunter war Nist, als er kurze Zeit später auf der Onlineseite der Zeitung einen Aufruf an die Leser entdeckte, selbst skurrile Zettelfunde einzusenden. Hat der Tagesspiegel seine Idee einfach geklaut? Nist glaubt nicht an einen Zufall. Doch die Beweislage ist schwierig. Autor des Aufrufs ist Henning Onken, Online-Redakteur der Zeitung und Betreiber des Blogs Fenster zum Hof. Auf seiner Seite haben er und eine Kollegin aber schon viel früher skurrile Aushänge und Zettel gepostet. Und ein Blick in die Fotocommunity Flickr zeigt: Auch dort hat das Veröffentlichen von witzigen Zetteln schon seit Jahren viele Anhänger.

Letzten Endes ist es aber auch nicht ganz so entscheidend, wer mit den Zettel-Blogs angefangen hat. Wichtiger ist, dass die Fundstücke witzig sind und zum Schmunzeln einladen. Und da liegt Joab Nist derzeit ganz weit vorne.

Nachtrag: Auch Bild online ist jetzt auf die Zettel gekommen und will wohl vor allem seine Leserreporter zum Einsenden motivieren. Zeitungswebsite-typisch werden die  Zettel-Fotos  als Klickstrecke präsentiert.

Burger dieser Welt, schaut auf diese Stadt

Wenn es einen neuen kulinarischen Trend in der Hauptstadt gibt, dann sind es die zahlreichen Hamburger-und-Pommes-Lokale, die überall eröffnen. Kaum eine Straße in Kreuzberg, wo nicht der Duft von kross gebratenem Hack und frisch frittierten Pommes Frites lockt.

Die Boulette feiert mit Tomate und Gurke ein fett-fröhliches Revival im Brötchen! Die Herkunft des Wortes Hamburger ist indes weiter umstritten. So beanspruchen Hamburger (also die Bewohner der Stadt) die Erfindung des Frikadellenbrötchens für sich. Über Auswanderer sei der beliebte Imbiss dann in die USA exportiert worden. Eine konkurrierende Theorie besagt, dass der Burger auf einem Jahrmarkt der Stadt Hamburg im Bundesstaat New York das erste Mal gegrillt wurde. Der Hamburger ein Amerikaner? Nein komplett falsch, denn natürlich handelt es sich beim Hamburger um eine urtypische Berliner Erfindung. Die Einheimischen, seit jeher für ihre Bescheidenheit bekannt, nannten die Jahrhunderterfindung schlicht „Boulette im Brötchen“.

Ähnlich wie Friseure setzen auch die neuen Berliner Hamburger-Lokale bei der Namensgebung auf mehr oder weniger originelle Wortspiele: Da gibt es den Burgermeister, das Burgeramt oder den Burgersteig. Beliebt sind auch Kombinationen aus Straßennamen, wie Marienburger oder Görli Burger oder dem Bezirksnamen („Kreuzburger“).

Ein Laden hier ganz in der Nähe nennt sich Berlin Burger International (kurz BBI) und lehnt sich damit namenstechnisch an den gerade im Bau befindlichen neuen Flughafen an. Der BBI liegt verkehrsgünstig auf den neuen Flugrouten, hält sich an das Nachtflugverbot für Pommes (13-23 Uhr) und positioniert sich ansonsten als Drehscheibe für Osteuropa (bulgarischer Schafskäse 80 Cent extra).

Und wo schmeckt die Boulette im Brötchen nun am besten? Um das herauszufinden, hat sich vor kurzem die Burger Initiative gegründet. In 18 wissenschaftlich fundierten Kriterien wie „Ambiente Außenbereich“, „Fleischdicke“, „Brötchenfaktor“, „Preispolitik“ oder „Versauungsfaktor“ bewerten die Engagierten verschiedene Frittenlokale. Auf der sachlich wirkenden Internetseite betonen die Tester ihre Professionalität („In der Praxis bedeutet dies oft ein feucht-fröhliches Beisammensein. Denn wer gut und gerne isst, geht auch zum Lachen nicht in den Keller!“). Die besten Burger werden im Foto gezeigt. Nur ein Anmeldeformular war leider nicht zu finden. So ein guter Burger bleibt eben doch immer noch ein Geheimtipp.

Schneeball im M29

45 Haltestellen, 65 Minuten Fahrtzeit und ein breites Kaleidoskop des öffentlichen Lebens – das sind die Eckdaten einer Tour mit dem M29. Die Linie durchquert die Hauptstadt von West nach Ost – vom Rande des Grunewalds geht es über den Ku’damm, vorbei am Potsdamer Platz nach Kreuzberg und schließlich zum Neuköllner Hermannplatz (siehe Linienplan). Will man etwas über Migranten und ihre Probleme in Berlin erfahren, dann sollte man unbedingt mit dem Bus M29 fahren. Ein Vorteil von Bussen gegenüber U-Bahnen ist ja, dass man jedes Telefonat unweigerlich komplett mithören kann. So wie das Folgende.

Kurz vor dem Lehrter Bahnhof. Ein junge Frau telefoniert mit einer Freundin: „Ey hast du schon deine Kontakte? Man, das ist total wichtig, dass du die Kontakte hast.“ Nun ist es ja in Zeiten von Facebook vielen Leuten richtig wichtig, optimal mit ihrer Umwelt vernetzt zu sein. Doch hier ging es ganz offenbar um etwas anderes. So wollte die Anruferin ihre Freundin am anderen Ende der Leitung davon überzeugen, bei einem todsicheren Deal mitzumachen: „Du zahlst 100 Euro ein und in neun Tagen kriegst du 700 Euro zurück. Du musst dich nur neun Tage um die Sache kümmern.“, erklärte sie. In den Kreis dürften aber nur „110-prozentig vertrauensvolle Leute aufgenommen werden“. Wir schauten uns bestätigend an.

Nur einen Haken gebe es: „Du musst zwei Kontakte haben, die auch 100 Euro einzahlen.“ Sonst kriege man weniger Geld und es dauere auch länger. Immerhin schien der Erfolg der Sache Recht zu geben: „Guck mal! Mahmoud hat Sana und Yasar reingebracht. Yasar hat Hasan und Gülcan…“ Es folgte eine längere Aufzählung von Namen, familiären Zugehörigkeiten und genauer Angabe, wer wann wen „reingebracht“, also in den Kreis aufgenommen hatte. Als die Freundin trotz des anhaltenden Redeschwalls offenkundig nicht so recht überzeugt schien, steigerte sich die Anruferin: „Ich hab so ein, zwei, drei Leute, aber die haben halt alle nur so 60 Euro und so. Ich denk gar nicht dran denen jetzt Geld zu geben! Meine Mutter will auch rein, aber sie weiß halt noch nicht, wer ihr zweiter Kontakt ist. Verstehst du, ich suche erst mal nur Leute, die auch zwei Kontakte haben.“

Der M29 biegt in die Oranienstraße ein und noch immer scheint an der Telefonfront kein Durchbruch in Sicht. „Das ist ein Schneeball-System, das klappt 200-prozentig! Ey, wenn es nicht läuft, zur Not haben wir noch Hamoudi. Der kann nicht abhauen mit der Kohle. Krass, das Mindeste ist doch, dass Hamoudi dir dann die 100 Euro zurückgibt.“ Kurze Pause. „Guck mal! Als ich letztens da war, hat wieder ein Mädchen vor meinen Augen 700 Euro bekommen. Bar auf die Hand!“ Die Stimme der Anruferin hatte sich ins Schrille gesteigert. „Richtig viele Leute sind da schon dabei. Shit man, halb Kreuzberg ist da drin!“

Der M29 erreichte den Görlitzer Bahnhof. Den Hörer immer noch ans Ohr gepresst, stieg die junge, bald schon um 600 Euro reichere Frau aus und verschwand in die Nacht. Schade, denn gerade waren wir bereit gewesen, selbst einzusteigen. Wir hätten 100 Euro gegen 700 Euro getauscht und uns einen Ast gefreut. Nur eine Frage hätten wir vorher noch gehabt: Warum macht der geheime Zirkel eigentlich so ein Verlustgeschäft? 100 Euro einnehmen und dafür 700 Euro verschenken, so schnell haben nicht mal die Lehman Brothers ihr Geld verbrannt! Vielleicht treffen wir das Mädchen bei der nächsten Fahrt mit dem M29er wieder. Dann fragen wir nach, versprochen.