Aufgetaut

Kaum hat 2011 begonnen, schon haben wir Berliner wieder Pech gehabt. Nein, es geht zur Abwechslung mal nicht um die S-Bahn, sondern um den Silvestermüll. Während es letztes Jahr nämlich kräftig schneite und die Reste vom Fest so bis mindestens Ostern unter einer dicken Schneeschicht versteckt blieben, ist derzeit Tauwetter angesagt. Schon in den ersten Januarwochen kommen abgeschossene Böller und Raketen wieder zum Vorschein. Eine matschige Masse aus feucht-bunter Pappe und rötlichem Füllmaterial zieht sich durch die Straßen. Hinzu kommt eine Unmenge leerer Sektflaschen, die als schmückendes Beiwerk die Kreuzberger Straßenränder verzieren.

Wie schön war das doch 2010 gewesen: Kurz nach dem Jahreswechsel setzte ein dichtes Schneetreiben ein. Flocke für Flocke legte sich eine dichte Decke über die versilvestermüllten Straßen. Keine Böllerreste, keine Sektflaschen. Fast hätte man denken können, es hätte gar kein Silvester gegeben, wenn nicht hier und da ein abgeknickter Raketenstab verloren aus der Erde geschaut hätte.

Man kann die Schneekugel drehen und wenden wie man will, dieses Jahr fängt in Berlin silvestermülltechnisch gar nicht gut an. Wie soll das nur weitergehen? Ich weiß es schon: Als nächstes fliegen die ganzen Weihnachtsbäume auf die Straße und vernadeln den Gehweg. Dann passiert eine Weile nichts, der Böllermatsch wird vom Regen weggespült, die Bäume bleiben am Straßenrand liegen. Irgendwann kommt ein Mann vorbei, der zuhause noch eine Ofenheizung hat und sägt den Bäumen den Stamm ab. Der brennt nämlich am besten. Das Astwerk bleibt liegen und wärmt die Alleebäume gegen den Frost. Eine Winteridylle. Und ganz ohne Schnee.

Douglas gibt mir die Kugel

„Und noch eine kleine Aufmerksamkeit für Sie. Frohe Weihnachten!“, ruft mir der Verkäufer zu. Und eh ich es mir versehe, halte ich die Papiertüte von Douglas in der Hand. Kauftransaktion abgeschlossen. In der Tüte: Das Weihnachtsgeschenk für meine Mutter und die „kleine Aufmerksamkeit“. Sie besteht aus einem viereckigen Karton mit dem Aufdruck „Collectors Edition 2010“ (die kleine Aufmerksamkeit, nicht meine Mutter). Durch den transparenten Kunststoff sieht man eine silberne Weihnachtskugel schimmern. Auf die Oberfläche der Kugel hat jemand eine Frau gemalt, deren Unterkörper aus Tannenzweigen besteht. Hinter der Waldfrau befinden sich noch ein goldener Stern und ein verwaschenes blaues Etwas, das so aussieht als hätte jemand seinen Pinsel nicht richtig ausgewaschen. Über dieses Meisterwerk moderner Christbaumkugelmalerei hat der Künstler mit krakeliger Schrift seine Signatur gesetzt.

Was soll ich damit machen? Collectors Edition hin oder her, an den Baum hänge ich mir diese Kugel ganz sicher nicht. Erstens ist sie verdammt hässlich. Zweitens, selbst wenn sie nicht hässlich wäre, würden mir noch die anderen Stücke der diesjährigen Kollektion fehlen. Nur eine Kugel von Douglas und zwanzig andere in Rot und Blau, das sieht nun wirklich nicht aus.

Mein erster Gedanke war: Am besten schnell weiterverschenken. Spontan fiel mir niemand ein, der sich über eine einzelne Silberkugel mit liebloser Bemalung freuen würde. Meine Mutter jedenfalls schon mal nicht. Mein Bruder? Der hat nicht mal einen Baum. Der Motzverkäufer in der U-Bahn? Ich bezweifelte, dass er sich über die Douglas-Kugel freuen würde.

Natürlich könnte ich die Kugel einfach zum Verkäufer zurückbringen. Sie auf den Tisch legen und sagen: So nicht. Aber damit habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Einer guten Freundin von mir wollten sie im Penny mal alte Weihnachtsschokolade andrehen. Als sie ablehnte, wurde sie von den Kassiererinnen als dekadent und überheblich beschimpft. Das wollte ich lieber nicht riskieren.

„Stell sie doch auf Ebay rein“, sagte mein Bruder. Auf der Auktionsplattform würde schließlich so ziemlich jeder Mist verkauft. Ich recherchierte. Auch ein anderer Douglas-Kunde war schon auf die Idee mit dem Versteigern gekommen. In gekonntem Marktschreier-Jargon und mit originellen Schreibfehlern hob er die Vorzüge der Kugel hervor:

„Hier biete ich eine unglaubliche Gelegenheit : Die Douglas Collektours 2010 Kugel , ein muß für jeden Sammler geschmackvoller Präziosen und die Möglichkeit Geschmack zu beweisen . Abgesehen vom guten Gefühl ein solch wertigen Gegenstand sein Eigen zu nennen , haben sie die reale Chance einer extremen Wertentwicklung in den nächsten 500 Jahren. Diesen Anforderungen geschuldet werde ich meine ganze Kraft in eine bombensichere Verpackung legen damit die Kugel absolut sicher und unversehrt bei ihnen ankommt.“

Das Startgebot lag bei einem Euro. Obwohl die Auktion schon einige Zeit lief, hatte sich noch niemand gefunden, der das edle Sammlerstück erwerben wollte. Ebay schien nicht der richtige Ort für diese Art von Nippes zu sein.

Natürlich hätte ich die Kugel einfach wegwerfen können. Aber was für eine ungemeine Verschwendung wäre es, wenn geschätzte zwanzig Millionen Kunden von Douglas zur Weihnachtszeit eine solche Kugel geschenkt bekommen und sie dann umgehend entsorgen? Ein Präsent produziert für den Müll. Das klingt nicht nach einem Happy End.

Als ich mir all diese Gedanken gemacht hatte (der Laden hatte inzwischen geschlossen), fiel mein Blick noch einmal auf die Verpackung der Kugel. Ganz unten stand in kleiner goldener Schrift ein Satz auf dem Karton: „Die magische Wunschkugel“

Ich habe mir die Kugel dann schwupp-di-wupp einfach weggewünscht. Es hat funktioniert! Das Ding ist einfach spurlos verschwunden! Kugellos stand ich auf dem Kudamm. An Weihnachten passieren halt manchmal doch noch Wunder.

König für einen Tag

Vorgestern bin ich überraschend König geworden! Und das kam so: Vorgestern war ja Dreikönigstag und der wird bei uns zuhause nach alter Schweizer Tradition gefeiert. Es gab also einen Dreikönigskuchen aus Hefe mit Walnüssen, Rosinen und Aprikosenmarmelade als Füllung. In dem Kuchen – und das ist der Clou – ist eine goldene Münze eingebacken. Wer sie bekommt, der wird König und darf sich eine bunte Papierkrone auf den Kopf setzen. Damit enden seine Privilegien aber leider auch schon. Natürlich führt dieser Brauch zu allerlei taktischen Überlegungen beim Kuchenessen: Soll ich das Stück am Rand nehmen oder lieber eines aus der Mitte? Ist die Münze wohl in ein kleines Stück eingebacken oder befindet sie sich in einem großen? Und es sorgt auch dafür, dass man mitunter noch ein Stück extra isst in der Hoffnung, dass in diesem endlich die heißersehnte Königsmünze versteckt ist. Eine schöne Tradition wie ich finde und der Kuchen (Bäckerin meine werte Schwester), war auch wirklich verdammt lecker. So lecker, dass ich trotz Königswürde am nächsten Tag nur einen leeren Teller mit ein paar Krümeln vorfand. König ist man eben immer nur für einen Tag.

Abgenadelt

Pünktlich vor dem gestrigen Dreikönigstag haben wir noch unseren Tannenbaum großstädtisch sachgerecht entsorgt:

1. Fenster auf
2. Baum durch das Wohnzimmer ziehen und dabei geschickt die Unterhaltungselektronik umschiffen
3. Baum aufs Fensterbrett hieven, kurzer Schulterblick nach unten
4. Abflug der Nadeltanne

Die Passanten vor dem Haus haben ganz schön geschaut, als der Baum an ihnen vorbeigerauscht ist. Rauscht einem bei widrigen Windverhältnissen ja auch gerne mal einer auf den Kopf. Doch bis auf den Baum haben es alle gut überstanden: Beim Aufprall hat die ohnehin schon ziemlich trockene Fichte nämlich praktisch alle ihre Nadeln verloren. Abgenadelt, wie der Förster wohl sagen würde. Sehr gut auch auf dem folgenden Bild zu erkennen:


Unser Baum ist der oben links, denn die ganzen Nadeln hat er unten links beim Aufprall verloren.