Regen-Rabatt für Wasserratten

Seit kurzem sind wieder einige Freibäder in Berlin geöffnet und man muss kein Hellseher sein, um zu prophezeien, dass es ein eher mauer Start in die Saison sein wird. Wer bezahlt schon vier Euro Eintritt, um durch kalten Nieselregen hindurch ins Becken zu flüchten und hinterher auf der Liegewiese eine Schlammparty zu veranstalten?

Sicher gibt es einige Unverbesserliche, die allen Naturgewalten trotzend, weiter ihre Bahnen schwimmen. Vor allem Rentner sind bekanntlich ja mit allen Wassern gewaschen. Aber auch Sportschwimmer können als hartgesotten gelten. Alle anderen bleiben aber zuhause. Und so gilt die Faustregel: Wenn es draußen regnet, bleiben die Freibäder leer.

Die Statistik spricht ja per se schon gegen den Betrieb eines Freibades in Berlin: So hat ein durchschnittlicher Mai in der Hauptstadt exakt 13,9 Regentage. Das heißt, an fast der Hälfte der Tage regnet es. Auch im Juni wird es mit 14,3 Regentagen nicht besser. Erst im Juli regnet es seltener.

Die Berliner Bäderbetriebe stehen dem Phänomen der Regentage weitgehend hilflos gegenüber: Zwar gibt es dieses Jahr ein „flexibles Öffnungszeitenmodell“, aber das bedeutet lediglich, dass die Freibäder versetzt geöffnet werden. Ist ein Freibad einmal offen, bleibt es auch dabei. Und wenn es regnet, dann kommt halt niemand. Die Bademeister sitzen gelangweilt am Beckenrand und falten kleine Schiffchen aus den Zipfeln ihrer BZ, die im Regen doch gleich wieder zu Papiermatsch zerfallen.

Dabei wäre die Lösung doch ganz einfach: Regentickets! An Tagen an denen es regnet, sollte der Eintritt ins Freibad nur die Hälfte kosten. Meinetwegen auch nur dann, wenn eine bestimmte Menge an Regen fällt. Gerade unentschlossene Schwimmer und Sparfüchse könnte ein Regen-Rabatt wieder in die Freibäder locken. Wem ein paar Tropfen von oben nichts aus machen, kann schwimmen und dabei auch noch Geld sparen. Auf der Webseite des Schwimmbades müsste natürlich vorher schon stehen, ob es sich um einen Regentag handelt oder nicht.

Ökonomisch ließe sich natürlich argumentieren, dass die Kosten für den Betrieb eines Schwimmbades immer ungefähr gleich bleiben, egal ob es regnet oder nicht. Bei reduzierten Preisen müsste das Bad sogar mehr Gäste anziehen, um seine Kosten zu decken. Ich denke dennoch, dass die Vorzüge der Regentickets überwiegen: Stellt euch mal vor, ihr seid Schlittenhändler und wollt im prächtigsten Hochsommer einen Schlitten verkaufen. Ohne starken Rabatt werdet ihr sehr lange suchen müssen, um einen Abnehmer für euren Ladenhüter zu finden. Ähnlich ist es auch bei den Freibädern. Nur mit Regentickets bekommt man die Berliner Freibäder auch bei schlechtem Wetter voll.

Klapperkonzert auf zwei Reifen

Kaum scheint die Sonne wieder, ist auch dieses Geräusch wieder da: Es klackert, rattert, rasselt, scheppert, rumpelt und kracht, dass es eine wahre Freude ist. Die Fahrradsaison ist eröffnet und das ist in Kreuzberg meist eine lautstarke Angelegenheit. Grund hierfür ist der Pflegezustand vieler Räder, der knapp oberhalb der Kategorie „noch fahrtüchtig“ rangiert. Also klappert das Rückblech, quietschen die Pedale, schleift die Kette bei jeder Fußbewegung.

Wer im bürgerlichen Charlottenburg oder im biederen Zehlendorf aufgewachsen ist, der kennt solcherlei Geräusche ja kaum. Fahrräder sind dort vor allem als rund laufende geräuscharme Fortbewegungsmittel bekannt. Allenfalls das leichte Sirren der Gangschaltung (18 Gänge plus) ist zu hören und vielleicht noch das leise Schnaufen des Radfahrers, wenn er sich die Steigung auf den Teufelsberg hinauf quält. Wo in Wilmersdorf eine jährliche Inspektion auf dem Programm steht, wird in Kreuzberg das Fahrrad genau einmal inspiziert – nämlich beim Kauf. Und so scheinen sich auch die Händler in der Umgebung weniger auf die Reparatur bestehender Bikes als auf den Verkauf von Gebrauchtfahrrädern spezialisiert zu haben.

Nicht nur dort wechseln Räder schnell ihren Besitzer: Wer seinen Drahtesel am Görlitzer Park abstellt, sollte besser nicht nur Rahmen und Vorderrad, sondern alle irgendwie abschraubbaren Teile des Rades mit einem Schloss sichern. Die Galerie an halbzerlegten Rädern vor dem Schwimmbad am Spreewaldplatz spricht hier Bände.


Hier muss die Fahrradmanufaktur wohl noch mal von vorne anfangen: Rad am Spreewaldplatz

Unvergessen auch der Tag, als ich schwerbepackt aus dem Lidl kam. „Hey, möchtest du Fahrrad kaufen?“, fragte mich ein Farbiger und wollte mir ein braunes Herrenrad andrehen. Für 30 oder 40 Euro hätte ich es haben können. Mit Transportkorb, aber ohne Schloss.

Es ist nicht nur die Saison der Fahrradfahrer, sondern auch der Fahrraddiebe. So mancher schützt sein Rad mittlerweile nach der „Kreuzberger Formel“. Das heißt: Preis des Schlosses = Fahrradwert mal zwei. Und jeder kennt irgendjemanden, dem ist trotzdem das Rad abhanden gekommen. Auftauchen tun die Bikes dann im Internet (u.a. Ebay Kleinanzeigen, Zweite Hand) oder auf Flohmärkten wie im Mauerpark. Wer sein geklautes Rad wieder haben möchte, dem wird hier ein guter Preis gemacht.

Und während das Stadtmagazin Zitty in seiner letzten Ausgabe die Vorzüge eines Fahrrades gegenüber einer Seifenkiste anpreist („in ihrer Nutzung weitaus eingeschränkter“), den „Schönheits-Vorsprung eines klapprigen Drahtesels vor einem nagelneuen Porsche 911“ erkannt zu haben glaubt  und auf den folgenden zehn (!) Seiten Fahrradfahrer vorstellt, die tatsächlich zu Uni oder zur Arbeit mit dem Rad fahren (wer hätte das gedacht, liebe Zitty!), gehe ich bisher noch zu Fuß. Mein Baumarktfahrrad mit drei Gängen steht nämlich noch im Keller. Es ist einfach nicht kreuzbergtauglich: Es klappert nämlich nicht. Kein Scheppern und Rasseln, wenn man über den Asphalt brettert. Irgendwie muss ich da noch mal ran; ein paar Schrauben lösen, das Öl von der Kette wischen und die Pedale zum Quietschen bringen. Dann kann der Fahrradsommer kommen.

Ausflug nach Schmöckwitz

„Schmöckwitz, wo liegt das denn?“, fragt der Berliner Freund, dem ich von meinem Samstagsausflug erzähle. Die kleine Ortschaft im Südosten von Köpenick ist längst nicht jedem Hauptstädter bekannt. Um ganz ehrlich zu sein, bis vor kurzem kannte ich Schmöckwitz auch nicht. Seit ich den Ausflugsreiseführer „Ab ins Grüne – Ausflüge mit der Berliner S-Bahn“ besitze, sieht das anders aus. Das kleine Büchlein stellt nicht weniger als 64 Rad- und Wandertouren in und um die Hauptstadt vor und bietet neben Klassikern wie Sanssouci oder dem Grunewald auch echte Geheimtipps wie Neu Kamerun, Strausberg oder eben Schmöckwitz an. Auf einer Doppelseite wird das jeweilige Ziel vorgestellt und praktischerweise auch gleich erklärt, wie man mit öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin kommt. Die Beschreibung versucht sich derweil an einer Mischung aus historischen Fakten und praktischen Tipps, was meist auch ganz gut gelingt (wer reinblättern möchte, sucht den Buchhändler seines Vertrauens auf oder nutzt die Blick-ins-Buch-Funktion von Amazon).

So weiß ich jetzt zumindest, dass Alt-Schmöckwitz gleich an drei Seen liegt (Langer See, Seddinsee und Zeuthener See) und kann mit dem Wissen prahlen, dass neben der obligatorischen Dorfkirche auch noch eine alte Feuerwache und das ehemalige Rathaus den Ortskern bilden. Außerdem endet die angeblich schönste Straßenbahnlinie Berlins im Ort. Trotz der Nähe zur Feuerwache brannte das Tramdepot aus dem Jahr 1912 aber leider vor kurzem ab. Eh ich mich jetzt in architektonischen Details über die Gebäude verliere oder in die sicher enorm spannende Regionalhistorie von Alt-Schmöckwitz einsteige, weise ich lieber schnell auf die grüne Umgebung hin. Sie bildet das eigentliche Highlight des Ortes und meines Ausflugs.

Auf geht‘s: Wie vom Wanderführer vorgeschlagen, biege ich hinter der Schmöckwitzer Brücke direkt rechts ab und durchwate den feinen Sand einer Badestelle. Im Sommer kann man hier sicher prima schwimmen gehen. Jetzt räkelt sich nur eine etwas prollige Familie im märkischen Sand, anderthalb Meter weiter parken zwei Kleinwagen. Park & Chill sozusagen.

Ich lasse die Generation Sonnenbank hinter mir und folge dem Uferweg entlang des Zeuthener Sees. Auf der anderen Seite des Ufers reihen sich Villen mit exklusiven Wassergrundstücken aneinander – ich fühle mich fast ein bisschen wie am Wannsee.

Vorab hatte ich die Halbinsel ja im Internet ausgespäht, war ihr mit Google Maps aus der Vogelperspektive zu Leibe gerückt. Doch die Netzkarten trügen: Wo die Google-Karte nur ein einheitliches Grün zeigt, verlaufen in Wirklichkeit zahlreiche Forstwege über den „Schmöckwitzer Werder“. Der Wanderer hat also die Wahl entweder bis zur südlichsten Landzunge nach Rauchfangswerder zu laufen oder bereits vorher die Biege zu machen. Entscheidet man sich für den Ort, erwarten einen nicht weniger als zwei Restaurants: Das eine serviert Fisch, das andere Schnitzel mit Pommes. Vor dem Fischrestaurant lungerte die Wirtin, vor dem Schnitzelrestaurant saßen die Köche und schälten Kartoffeln. Nur Gäste waren keine in Sicht.

Und auch ich entschied mich, lieber noch etwas weiter zu wandern. Nicht zuletzt empfahl der Wanderreiseführer doch das Lokal Strandlust, welches sich am nördlichen Ende des Werders direkt am Seddinsee auf einer Art schwimmendem Floß befindet. Von außen unscheinbar, gab es drinnen wirklich ein verdammt leckeres Wiener Schnitzel mit Pommes. Die Bedienung schien zwar noch etwas im Winterschlaf zu sein (nach zehn Minuten warten, haben wir uns die Speisekarte einfach selbst vom Nebentisch organisiert), aber das schmälerte den Genuss von Schnitzel und guter Aussicht kaum.

Alles in allem ein sehr gelungener Ausflug, der erstens zeigt wie grün und blau Berlin auch in seinen Stadtgrenzen schon ist, und zweitens belegt, dass man auch in einer Millionenstadt schnell Orte erreichen kann, wo man stundenlang keiner Menschenseele begegnet. Kaum ein Berliner kennt eben Schmöckwitz – ein Vorteil den zu nutzen es gilt.

Goodbye Gunnar! Noch mehr Schupelius


Schupelius und 13 Playmates: So präsentiert die BZ die „Mein-Ärger“-Videos

Letzte Woche haben wir unseren ersten vorläufigen Abschiedsartikel für Gunnar Schupelius online gestellt – und wurden damit sogar im BILDblog erwähnt. Und jetzt ist es tatsächlich schon soweit: Am Freitag verabschiedete sich der BZ-Journalist von seinen Lesern in einer letzten Mein-Ärger-Kolumne.

Milde gibt sich Gunnar Schupelius zum Abschied, der große Ärger scheint verraucht. Genüsslich schwelgt er stattdessen in Erinnerungen (z.B.  an rund 40 Kolumnen, die er gegen den Bürgermeister geschrieben habe. Wowereit daraufhin: „Sie wissen, dass Sie niemals ein Interview von mir bekommen?“, Schupelius darauf kess: „Ja, aber wussten Sie, dass ich gar keins haben will?“). Und er spart nicht mit Verweisen auf seine Erfolge: Eine Schutzscheibe zum Schutz vor Übergriffen in BVG-Bussen sei nur dank ihm eingeführt worden, ohne ihn hätte es auch keinen gläsernen Warteunterstand für Botschaftspolizisten gegeben. Fast schon obligatorisch der Dank an die Leser, die ihn mit Briefen und Postkarten immer unterstützt hätten und ihm sicher viele Ärgerthemen überhaupt erst zugeschickt haben.

1331 Kolumnen hat er geschrieben, sagt Schupelius in seinem Abschiedsvideo – er lächelt stolz. Dann eine Kunstpause. Als er die Zahl noch mal nennt, kommt er ins Stocken. Er muss die Zahl noch mal nennen, jetzt lacht er fast. Was für eine Wahnsinnszahl! Drei Jahre Ärger über Sprayer und Taxifahrer, über Gewalttäter und Leute, die aus der Flasche trinken, über Wowereit und über die CDU und natürlich vor allem über die Linken und die Grünen.

Seinen Zorn habe er nicht aus Abneigung auf die Stadt niedergehen lassen – nein, aus Liebe! Und das nimmt man ihm fast ab. Natürlich liebt er nicht ganz Berlin, den Westen etwas mehr als den Osten und die Konservativen mehr als die Linken – klar, aber immerhin.

Wer sich so öffentlich ärgert, kriegt nicht nur Zustimmung. Schenkt man Schupelius Glauben, dann schlägt einem so manches Mal sogar blanker Hass entgegen. „Ich bekam unangenehme Post von Linksradikalen und Graffiti-Schmierern. Damit musste ich leben.“ Kein Wort der Selbstkritik, Schupelius ist immer noch überzeugt von dem was er getan hat.

Mit Gunnar Schupelius verliert die BZ einen ihrer pointiertesten Kommentatoren. Man könnte auch sagen ihren einzigen. Schupelius polarisierte, vertrat abwegige Standpunkte und kämpfte einen aussichtslosen Kampf gegen den Verfall der Hauptstadt.

Liest man seine Kolumnen merkt man schnell: Schupelius fühlt sich unwohl in einer Welt ohne Regeln. Ohne Vorschriften funktioniert das menschliche Zusammenleben in seinen Augen nicht. Linksextreme, Migranten, Grüne sind ihm suspekt, ja unheimlich. Berlin als Stadt ohne Regeln, es ist das große Thema, dass sich durch alle Kolumnen von Schupelius zieht.

Ganz zum Schluss seines Abschiedstextes wünscht er – und das klingt etwas hochgegriffen – seinen Lesern „Gottes Segen“ und prophezeit, dass man sich in „goldenen Zeiten“, vielleicht unter einer „besseren Regierung“ wiedersehen werde. Dann ist er weg.

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Die drei absurdesten Mein-Ärger-Kolumnen:

Weil es so schön ist, zeigen wir zum Abschied noch einmal die schönsten Stücke von Schupelius. Im letzten Artikel haben wir die sechs lustigsten Videos gezeigt, jetzt legen wir noch drei Mal richtig absurden „Ärger“ oben drauf:

1. Wen meinen wir, wenn wir von Migranten sprechen?


Schupelius fragt sich: „Warum nennen wir Kinder, die in Berlin geboren sind, eigentlich ‚Migranten‘ “? Und kombiniert blitzgescheit: „Migrant heißt ‚Wanderer‘“. Doch diese Kinder sind keine Wanderer. Deshalb sei der Begriff falsch. Tja, schön dass die BZ es auch mal merkt – alle anderen verwenden schon längst das Wort „Migrationshintergrund“.

Nach dem Patzer leitet Schupelius ungeschickt auf Muslime über: 90 Prozent der Muslime würden sich als religiös bezeichnen. Das ist Schupelius nicht geheuer. Er weist auf religiöse Unrechtsregime hin – wollen die Muslime in Berlin das etwa auch? Er räumt ein: „Ich weiß es nicht, es würde mich aber interessieren“. Zum Schluß gibt er sich weltläufig: „Von mir aus können alle Menschen in Berlin leben, […] unter einer Bedingung, dass sie unsere Gesetze anerkennen, allen voran unser Grundgesetz.“ Das hat gesessen: Mal wieder um Kopf und Kragen gequasselt.

2. Die Straße vor dem Kanzleramt


Der gerechte Zorn des Gunnar Schupelius kann jeden treffen. Niemand ist sicher: Nicht die CDU, nicht das KaDeWe und nein, nicht einmal die Straße vor dem Kanzleramt.

Das wird jetzt etwas ermüdend, aber die ganze kafkaeske Auto-Odyssee von Schupelius wird nur im Wortlaut wirklich deutlich: „Wenn ich am Kanzleramt vorbei nach Moabit fahren will, muss ich Slalom fahren. Denn die Willy Brandt Straße direkt vor Frau Merkels Dienstsitz ist gesperrt. Also muss ich scharf rechts in die Paul-Löbe-Allee einbiegen, dann links in eine namenlose Teerpiste, dann noch einmal links in die Otto-von-Bismarck-Allee und wieder rechts in die Willy-Brandt-Straße.“

Vielen wäre wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, dass sie dreimal abgebogen sind. Schupelius aber hat aufgepasst. Gleich nach der Rückkehr in die Redaktion recherchiert er, warum die Straße vor dem Kanzleramt gesperrt ist. „Im Paul-Löbe-Haus haben Bundestagsabgeordnete ihre Büros. Sie sagten, der Verkehr vor ihrer Haustür würde sie stören und sei zu laut.“ Schupelius kann es kaum fassen, Sicherheitsbedenken der Kanzlerin, die kann er akzeptieren. Aber das Bundestagsabgeordnete eine Straße dicht machen, das geht nicht. Das ist frech. Sie müssten den Verkehrslärm aushalten, schließlich sei man nicht im „Sanatorium“! Um seinen Punkt zu unterstreichen, greift Schupelius noch mal weit in die CDU-Geschichte zurück und behauptet: Konrad Adenauer, nach dem diese Straße benannt ist, hätte das bestimmt nicht gewollt. Wir bezweifeln, dass es Adenauer überhaupt interessiert hätte.

3. Aufhebung des Sargzwangs für Muslime


Sollte der Sargzwang für Muslime aufgehoben werden? Wer hat sich das nicht immer schon mal gefragt? Schupelius referiert gekonnt die Tücken des deutschen Bestattungswesens und kommt dann auf den Punkt: Wenn Aufhebung, dann nur wenn Christen auch sarglos unter die Erde kommen dürfen. Weil in Berlin ohnehin kaum noch jemand an Gott glaube, sei das keine so schlechte Sache, wie vielleicht zunächst angenommen. Den Vorwurf, Muslime würden durch den Sargzwang diskriminiert, lässt Schupelius nicht gelten: „Im übrigen werden solche Themen auch meist von kleinen Interessengruppen vorgetragen, von muslimischen Kleingruppen, die nur winzige Teile der muslimischen Bevölkerung repräsentieren“.  Bevor er es sich mit allen Religionen verscherzt, leitet Schupelius schnell auf ein anderes Problemthema um: Burkinis im Schwimmbad. Geschickt, geschickt! Kleine Zusatzaufgabe: Zählt mal mit, wie oft Schupelius im Podcast das Wort „Sargzwang“ verwendet.

PS: Das ging schnell. Die BZ hat die Mein-Ärger-Kolumne komplett von ihrer Online-Seite genommen und wirbt an der Stelle nun für ihre frischgebackene Facebook-Fanseite. Wir wollen hoffen, dass das nicht der einzige Ersatz für Schupelius wird…

Danke an Laurence Thio für die gemeinsame Arbeit an diesem Artikel.

Mein Ärger: Gunnar Schupelius geht

Auch der größte Ärger geht irgendwann vorbei:  Der Journalist Gunnar Schupelius wechselt zum 1. April von der Boulevardzeitung BZ ins Hauptstadtbüro des Focus. Damit endet wohl auch seine BZ-Meckerkolumne „Mein Ärger. Der gerechte Zorn des Gunnar Schupelius“. Das finden wir sehr schade.

Was Franz-Josef Wagner für die BILD ist, war Schupelius für die BZ. Wo Wagner große moralische Themen diskutiert und und steile Thesen wagt, ärgert sich Schupelius über Graffiti auf seinem U-Bahnhof oder die teuren Eintrittspreise im Fernsehturm.

Besonders gerne schimpft Schupelius dabei über Linksradikale, gewalttätige Teenager und Migranten. Eben die Gruppen, die seine Leser auch nicht gerne mögen. Seine konservativen Standpunkte machen sich gut in jeder Eckkneipe.

Was sich in der gedruckten Zeitung wie kleinbürgerliche Entrüstung liest, wird in der Videokolumne erst zum launigen Spektakel. Schupelius posiert mal hinter seinem Schreibtisch, mal im Großraumbüro der BZ und liest seine Kolumne ab. Um es klar zu sagen: Schupelius ist kein besonders guter Vorleser. Er ist grottenschlecht. Er verhaspelt sich in seinem verschachtelten Satzbau. Er verliert sich in Nebenschauplätzen. Nicht immer steht am Ende eine Pointe. Manchmal wussten wir hinterher nicht einmal, worüber Schupelius sich eigentlich geärgert hat. Das ist man vom Berliner Boulevard anders gewöhnt.

Und auch technisch wirkt die Videokolumne eher hausbacken: Mal ist das Bild farbstichig, dann ist Schupelius unscharf oder man versteht ihn schlecht, weil seine Kollegen im Hintergrund lautstark quatschen.

Über die Jahre sind Schupelius allen Widrigkeiten zum Trotz einige komödiantische Highlights geglückt. Wir blicken wehmütig zurück.

Die sechs lustigsten Mein-Ärger-Kolumnen:

1. Im Supermarkt fahren wir uns ständig an den Wagen

Die Stimmung in den Berliner Supermärkten ist „angespannt“, ja „leicht aggressiv“. Ständig krachen Einkaufswagen ineinander („auf dem Weg von der Eingangstür bis zur Kasse mindestens 20-mal“). Wichtigster Grund: Beim Einkaufen gibt es zu wenig Regeln! Und Schupelius wäre nicht Schupelius, wenn er nicht schon ein paar Ideen hätte: Parkverbot vor dem Kühlregal, Wartebereich vor dem Fleischer, kleine Rastplätze wo man in Ruhe seinen Einkaufszettel lesen kann und natürlich ein Tempolimit gegen Raser. Vor der Kasse dürfte es nur eine Schlange geben, sonst „kommt es zu fürchterlichen Kämpfen“. Wer es bis jetzt noch nicht wusste: Einkaufen ist Krieg. Und Besserung keineswegs in Sicht: „Früher hat es vielleicht Höflichkeitsformen gegeben. Da hat man sich vielleicht lächelnd den Weg freigemacht.“, erinnert sich Schupelius und schiebt nach: „Aber das ist lange her.“

2. Von Autonomen vertrieben

 

Schupelius hat Feindkontakt! Bei einem Gespräch mit Innensenator Erhard Körting nähern sich den beiden plötzlich junge Frauen und Männer. Sie trugen schwarze Lederjacken, die  „Uniform der Autonomen“. Körting springt auf und rennt zu seinem „rettenden Dienstwagen“. Schupelius selbst bleibt zurück („das war sehr ungemütlich“). Er schluckt dramatisch. Wenn man genau hinschaut scheint er derangierter als sonst. Der Hemdkragen schief, der Fokus der Kamera fürchterlich unscharf. Dann der Zorn: „Kann es eigentlich sein, dass ein zusammengelaufener Haufen von Krawallbrüder darüber entscheidet, ob wir uns mit einem Politiker von der SPD in einem Lokal in Friedrichshain treffen?“ Das ist natürlich eine ziemlich konkrete und lange Frage. Er spitzt noch mal zu: „Ist es so, dass bestimmte Leute in diesem Bezirk die Straße beherrschen?“  Jetzt wären natürlich radikale Forderungen angebracht, Schupelius aber sagt: „Das hinterließ bei mir ein sehr unangenehmes Gefühl“. Trotzdem eine der actionreichsten Folgen.

3. Wie viele Waggons werden pro Tag repariert? Darauf gibt mir die S-Bahn keine Antwort!

Bei der Berliner S-Bahn platzt Schupelius der Kragen: Es fahren fast keine Züge mehr, 24 Bahnhöfe sind komplett zu und die Straßen der Stadt so voll sind wie nie zuvor. „Die Verzweiflung wächst“, sagt Schupelius und legt die Stirn in Sorgenfalten. Und dann gibt sich auch noch der Pressesprecher der Bahn wortkarg: „Wie viele Waggons werden pro Tag repariert?“, fragt Schupelius um 10 Uhr und erhält um 16 Uhr die Antwort „weiß ich nicht“. Und auch auf diverse andere Fragen erhält er keine Antwort. Wenn das stimmt, wirft es natürlich kein gutes Bild auf die Presseabteilung der S-Bahn. „Mit Verlaub so geht es nicht. So lass ich nicht mit mir umgehen!“, donnert Schupelius und lobt Vorstöße einer grünen Abgeordneten, die Sache gerichtlich klären zu lassen. Starkes Stück!

4. Warum trinken jetzt alle aus der Flasche?

In dieser Folge ärgert sich Schupelius über Menschen, die aus Flaschen trinken. Das ist erst mal ein ziemliches Sommerlochthema – sowas kann man sich wahrscheinlich nur als Chefreporter der BZ leisten. Hört man ihm länger zu, dann stößt man schnell auf den Kern all seiner Kolumnen: Schupelius sehnt sich nach Ordnung – alles, auch die Banalitäten des Alltags müssen bei ihm geregelt werden: Ganz sicher ist er sich mit seinem Ordnungszwang aber nicht, deshalb fragt er: „Ist es übertrieben wenn ich sage, dass es mich stört, wenn jemand neben mir gekonnt aus der Flasche trinkt?“ Danach räumt Schupelius zwar ein, Wasser sei wichtig, aber man brauche es nicht immer überall und Cola solle man nicht „beim Laufen saufen“. Schupelius appelliert an „die jüngere Generation“, die sich offenbar nicht mehr an die „bürgerlichen Regeln des Trinkens“ erinnert. Und überhaupt: Aus einem Becher oder einer Tasse zu trinken, dass sehe doch viel eleganter aus.

5. Der Kinospot der Linkspartei

Schupelius ist „zutiefst beunruhigt“ über den Kinospot der Linkspartei zur Europawahl. Hastig referiert er den Inhalt: Eine Villa bei Nacht, schöne Gründerzeitmöbel sind zu sehen, auf dem Tisch eine Rolexuhr und eine halb geleerte Champagnerflasche. Plötzlich knallt es, man hört Scherben fallen. Ein großer Pflasterstein fliegt auf einen Schreibtisch aus Eichenholz. Der Text dazu: „So besser nicht. Lieber so: Am 7. Juni: Die Linke“. Diese Szene macht den Spot „absolut unerträglich“ für Schupelius. Für ihn verbirgt sich dahinter mehr als eine Sachbeschädigung: „Einen Stein aus dem Hinterhalt durch ein Fenster auf einen Schreibtisch zu schleudern, das ist mehr als ein Angriff auf fremdes Eigentum, das ist ein Mordanschlag auf den, der vielleicht an dem Schreibtisch sitzen könnte.“ Schockiert fügt er hinzu: „Wer dazu sagt: So besser nicht, der kann nicht ganz klar im Kopf sein.“ Das ist nicht gerade logisch, aber unterhaltsamer als der Spot selbst.

6. Randalierende Teenager

Schupelius schildert eine zerstörerische Odyssee: 40 Jugendliche versammelten sich  erst grölend am U-Bahnhof Tegel, fuhren dann mit dem Bus nach Hermsdorf, beschmierten ihn dort und zertraten anschließend Laternen, Werbetafeln und Schaufenster. Dann fuhren die Vandalen mit der S-Bahn nach Frohnau, um dort „ihr Werk fortzusetzen“. Ja, was soll man in Hermsdorf und Frohnau auch schon viel anderes machen. Doch Schupelius ist schockiert: Die Jugendlichen „kamen aus guten Elternhäusern“. Er legt nach: „Diesen Kindern geht es besser als allen anderen Kinder vor ihnen in der Weltgeschichte“  und dennoch würden sie jeden Freitag  „aggressiv, gewaltätig, randalierend“ losziehen. Schupelius kennt den Grund: Kindern würden keine Grenzen mehr gesetzt. Kulturpessimistisch ergänzt er, schon 10-Jährige würden heute Pornos im Internet schauen, während sich  13-Jährige dem flaschenweisen Wodkasaufen verschrieben hätten. Da ist die Karriere als Randalierer natürlich klar vorgezeichnet. Im Kern geht es erneut um das Lieblingsthema von Gunnar Schupelius: Ordnung, Regeln und Verbote.

Danke an Laurence Thio für die gemeinsame Arbeit an diesem Artikel.

Bye-bye Kontrolletti

Es ist ein stiller Abschied. „Verdeckte Kontrollen passen nicht zu dem offenen und ehrlichen Umgang mit unseren Kunden“, sagt BVG-Chefin Sigrid Nikutta im Tagesspiegel. Die Berliner Verkehrsbetriebe werden ab sofort nicht mehr auf getarnte Kontrolleure zurückgreifen.

Was wie eine harmlose Randnotiz in der neuen Freundlichkeitsoffensive der BVG wirkt, ist in Wahrheit ein tiefgreifender Wandel in Bus und Bahn. Es ist die Abschaffung des Kontrolletti, jenes letzten Desperado des Nahverkehrs.

„Opa, was ist eigentlich ein Kontrolletti?“, werden uns irgendwann unsere Enkel fragen, die auf ihrem Smartphone mal wieder zu lange in der Wikipedia rumgeblättert haben. Und wir werden sagen: „Also Kinder, das war so…“

Und dann werden wir ihnen von der ausgestorbenen Gattung der Kontrolletti erzählen: Unrasierte, bullige Kerle mit Wampe und verbrauchte Mittvierzigerinnen mit glasigem Blick. Getarnt in Jacken von Aldi und Kik streifen sie durch die U-Bahn-Waggons. Immer auf der Jagd nach abgelaufenen Fahrscheinen und nicht korrekt aufgeklebten Schülermarken. Ein Leben im Untergrund.

Für die Fahrgäste die große Spannung: Verkauft der zerlumpte Kerl da vorne gleich die Motz oder will er doch nur meinen Fahrschein sehen?

Der Umgangston bei der Kontrolle ist ruppig. „Kann ich mal ihr Ticket sehn?“, raunzt der Kontrolletti. Und die Berliner motzen zurück: Über die U-Bahn, die ständig verspätet sei. Über die hohen Fahrpreise. Und über die unfreundlichen Kontrollen. Am Ende zeigen fast alle ihre Monatskarte. Man nickt sich zu, es ist nur ein Spiel.

All das wird es in Zukunft nicht mehr geben. Keine Kopfprämie pro überführtem Schwarzfahrer, stattdessen schicke Uniformen. Die neuen Kontrolleure sagen vermutlich sogar „Bitte“ und „Danke“, wenn sie einen Fahrschein sehen wollen. Es tun sich Abgründe auf.

Doch die Trauer hilft nichts, die Tage des Kontrolletti sind endgültig gezählt. Ich werde sie vermissen. Bye-bye Kontrolletti.